Wie kann ich primeln?



Aus Dr. Gordon van Rooy's Primal Primer

1. Der Weg über den Stoffwechsel

Mach's Dir auf der Matte bequem. Leg Dich flach hin, ohne Decke. Dämpfe das Licht so, dass Du nicht von der Helligkeit abgelenkt oder versucht bist, die Augen zu öffnen.

Deine Abwehr wird sich dagegen wehren zu primeln, ungefähr wie ein Kind, das sich sträubt, zum Zahnarzt zu gehen. Und vermeide es, im Kopf rumzugeistern oder mit Deinem Therapeuten zu plaudern. Nimm die Haltung ein, dass Du hier bist, um zu arbeiten und jede Minute, in der Du das nicht tust, Zeit- und Geldverschwendung ist.

Inzwischen hat der Therapeut Musik angemacht. Sie hat den Zweck, es Dir zu erleichtern, ins Primeln zu kommen bzw. auf Primärszenen zu reagieren. Also zögere nicht, Musik zu verlangen, auf die Du ansprichst; noch besser, bring Deine eigene nostalgische, aufreizende oder depressive Musik mit. Dein Therapeut wird es zu schätzen wissen.

Jetzt schließ die Augen und geh mit den Augäpfeln in die Schlafposition, das ist leicht schielend nach oben gerichtet. Fühle, wie angenehm das ist. Über Jahre hast Du Dir angewöhnt, dass, wenn Deine Augen in diese Position gehen, Du das Kommando von Deinem Bewusstsein an Dein Unterbewusstein übergibst und dann einschläfst.

Jetzt aber benutzt Du diese Augenstellung, sozusagen als konditionierten Reflex, um in Dein Unterbewusstsein zu gelangen - und das ist genau, wo Du während der ganzen Sitzung sein willst.

Fühle jetzt ganz bewusst, wie Du damit beginnst, in Deine Gefühlswelt einzutauchen - in die vierte Dimension. Sag Dir: "Ich falle tief in meine Gefühle. Ich befinde mich auf einem himmelweichen Bett von Gefühlen. Ich überlasse mich meinen Gefühlen. Meine Gefühle übernehmen. Ich habe keine Angst vor meinen Gefühlen - nur weil ich sie fühlen muss bevor ich sie für immer loslassen kann".

Inzwischen solltest Du tief atmen. Tiefes Atmen bzw. "Reinatmen", ist sozusagen der Highway in den Primal- Pool. Vielleicht magst Du für den Anfang so atmen, dass Du etwa doppelt so viel Sauerstoff aufnimmst als normal. Atme in einem bequemen Rhythmus. Hör, wie Du atmest. Konzentriere Dich auf das rhythmische Geräusch dabei. Nimm jeden Atemzug wie etwa eine pneumatische Pumpe wahr, die Dich immer tiefer in Deine Gefühle, in Dein Unterbewusstsein fördert.

Probier das ca. 20 Atemzüge lang. Dann erhöhe Deine Atemfrequenz. Atme tiefer und schneller. Du solltest etwa drei Mal so viel Sauerstoff aufnehmen als wie gewöhnlich. Auf diese Weise wirst Du jetzt etwa 10 Minuten weiter atmen oder bis Du merkst, dass Deine Gefühle anfangen, an die Oberfläche zu kommen.

Indem Du weiteratmest, wirst Du vermutlich die eine oder andere physiologische Veränderung wahrnehmen. Kein Grund zur Aufregung! Einige der dabei nicht ungewöhnlichen Empfindungen sind: (1) Ein Gefühl der Kälte, das oft mit einem zitternden Frösteln einhergeht. Dabei handelt es sich um eine psychologisches Kälteempfinden, das oft auch mit Alleinsein in Verbindung gebracht wird. Weder Decken noch Heizkissen werden dagegen helfen, denn das kommt von innen. (2) Ein Gefühl der Schwere in den Gliedern. (3) Ein [kribbelndes] Gefühl in den Händen, dann in den Lippen und um den Mund oder auch in anderen Teilen des Körpers. (4) Ein Engegefühl im Mundbereich (5) Eventuell ein Verkrampfen der Hände (6) Eventuell Kopfschmerz (7) Unter Umständen Schmerz in den Nebenhöhlen (8) Der Drang zu gähnen. Dies alles ist eine Durchgangsphase und kann als Abwehr aufgefasst werden.

Nun noch ein Wort zum Atmen. Die beste Art zu atmen ist diejenige, die sich für Dich am effektivsten und am bequemsten anfühlt. Wird durch die Nase ein- und durch den Mund ausgeatmet, dann bleiben so die Schleimhäute länger feucht. Bestens geeignet ist auch die Zwerchfell- [Bauch- ] Atmung, wenn bekannt. Sowie Du ins Primeln kommst, musst Du Dir um Deinen Atem keine Gedanken mehr machen, da sich dann Dein Atem automatisch und instinktiv anpasst.


2. Der Weg über die Gefühle

Du hast Dich reingeatmet. Die rechte Seite Deines Gehirns ist gut genug mit Sauerstoff versorgt, um den Ordner, wo Erinnerungen gespeichert sind, zu aktivieren. Du kommst in den Primal- Modus und spürst, wie Gefühle nach oben drängen. Du weißt, wie heilsam es ist, sie zuzulassen und auszudrücken. Du fängst an, sie loszulassen. Der Gefühlsstrom beginnt immer mehr zu fließen. Dabei folgt eine Primärszene der nächsten und eine Vielzahl von Gefühlen sprudelt hervor. Wenn Deine Gefühle nicht von alleine fließen, wird Dein Therapeut Dich mit Vorschlägen anleiten. Vielleicht führt er Dich zu Deinem ersten Schultag. Möglich, dass das Gefühle des Nicht- Genug- Seins auslöst. Nicht lange, dann kommen auch frühere Gefühle ins Fliessen. Wenn das erst mal der Fall, ist kann relativ leicht von einem zum nächsten Sack voll von Primärschmerz übergegangen werden.

Und versuch auch gelegentlich mal, wenn Du einen bestimmte Schmerz fühlst, etwa Demütigung, andere Szenen zu diesem Thema zu finden. Lass Dir Zeit, bei dieser Suche. Du bist nämlich mitten in einer archäologischen Ausgrabung. Wo Du Knochen und Werkzeuge findest, da grabe vorsichtig weiter, weil Du da ziemlich sicher noch mehr finden wirst. Schau auch in früheren Schichten, ob Du vielleicht dort noch mehr findest.


3. Der Weg über die Fantasie

Um in ein Primal zu kommen hilft Fantasie. Das gilt ganz besonders für diejenigen, denen es nicht leicht fällt, sich gehen und ins Primeln fallen zu lassen. Dabei geht es nicht darum, sich ein Szenario aus zu denken, bei dem die Vorstellung dann bleiben müsste. Nachdem Du Dich in die Primal- Zone reingeatmet hast, lass an Gedanken kommen, was kommt. Und diese brauchen auch nicht von inneren Eltern kontrolliert werden.

Manche Klienten sagen: "Diese Szene ist lachhaft". Woraufhin die Szene verschwunden und das Primal über dieses Thema aufgeschoben ist. Genau wie Träume sind bizarre, absurde, lächerliche und vulgäre Szenen Teil von Gottes innerer Müllabfuhr mit dem Zweck, uns von dem Bedürfnis nach Ausagieren zu befreien. Lass also, egal was kommt, den Fluss der aufsteigenden Bilder unzensiert an Dir vorbeiziehen. In aller Regel sind diese Szenen Auslöser von Gefühlen, die anders vielleicht gar nicht auftauchen würden.

Normalerweise projiziert Dein Unterbewusstsein, mit großer Hellsicht, seine ureigenen Bilder auf die Leinwand der Imagination. Und natürlich brauchst Du Deinem Unterbewusstsein niemals anzugeben, wovon es träumen soll. Wenn aber die innere Leinwand völlig leer bleibt, wären hier ein paar Szenenvorschläge: das Skript kann sich dann in alle möglichen Richtungen entwickeln.


1. Du gehst an einem nebligen Strand, wobei Dir der Wind ins Gesicht bläst
2. Du steigst auf einen Berg
3. Du bist in einem üppig bewachsenen Tal, vor Dir eine Blockhütte
4. Du bist in einem tiefen Wald
5. Du bist in einer Höhle oder in einem Tunnel
6. Du bist in einem Fantasieland mit Zwergen und Gnomen
7. Du bist ein im Wald ausgesetztes Kind
8. Du bist Dein Lieblingstier
9. Du bist im Krabbelalter. Jemand kommt zur Tür rein. Schau auf die Füße und dann langsam nach oben. Wer ist es und was macht er / sie?
10. Du bist Deine Eltern, einen Monat vor Deiner Geburt
11. Du bist ein Vogel, der in die Lüfte aufsteigt
12. Du bist wieder in der Wohnung, wo Du früher als Kind gelebt hast


4. Der Weg über den Körper

Deine ersten Primals werden vielleicht etwas steif sein. Du bist immer noch auf der Hut. Entspann Dich und geh in Kontakt zu Deinem Körper. Jede seiner Zellen erinnert alles, was ihr angetan wurde. Der eine Klient macht ein Geburtsprimal durch und entdeckt dann die blauen Flecken am Körper, wo die Zangen angesetzt haben. Eine andere, die als Kind vergewaltigt wurde, entwickelt die Fingerabdrücke des Vergewaltigers an ihren Beinen. Derartige Erscheinungen beweisen, wie Dein Körper in sich die erlittenen Verletzungen genau gespeichert hält. Wenn Du auf der Matte liegst, roll hin und her, streck Dich, beweg Deine Arme, sitz auf, geh in die Krabbelposition, in eine embryonale Körperhaltung. Reib Deine Beine, Deine Arme oder Deine Augen. Sowie Deine Körperbewegung etwas von der Verletzung, die Deinen Schmerz verursacht hat, genau trifft macht es klick und Deine Gefühle kommen ins Fließen.


5. Der analytische Weg

Durchleuchte Dein Leben unter verschiedenen Aspekten, wie folgt aufgelistet:

    Chronologisch - Geh in Fünfjahresschritten rückwärts Dein Leben durch. Lass Deine Erinnerung erst fünf Jahre, dann zehn, dann fünfzehn, dann zwanzig usw. zurückschweifen. Je näher Du Deiner eigenen Geburt kommst, um so langsamer solltest Du Dich herantasten. Jede Periode hat ihre eigenen Taschen voll Leiden. Erkunde sie vorsichtig.

    Thematisch - Verfolge Deine Verletzungen in ihrer ganzen Breite, Thema für Thema. "Als mich ein Freund verließ" "Als meine Freunde sich über mich lustig machten" "Als ich mich verirrt hatte" "Als meine Großmutter starb" "Als meine Frau mir sagte, dass sie die Scheidung will" "Als ich beinahe gestorben wäre". Indem Du so einzelne Lebensthemen durchgehst, kann es sein, dass Du eine Menge versteckte Ängste und Schmerzen finden wirst.

    Geographisch - Geh zurück in die verschiedenen Städte wo Du gelebt hast. Was war dort? Sichte die Ereignisse, die dort passierten. Geh in die einzelnen Räume. Erinnere Dich, was sich dort jeweils ereignet hat. Geh in die Schulen und Kurse, die Du besucht und an denen Du teilgenommen hast. Manche stolpern über ihren Schmerz an den unwahrscheinlichsten Stellen, wie etwa in der Kirche oder in der Sonntagschule.

    Ferien und Feste - Geh zurück zu Geburtstagsfesten, Ferienlagern, Wandertouren, und Picknicks; vergiss auch nicht Schmerz, der im Zusammenhang steht mit Weihnachten, Neujahr, Jahresfesten und Familienfeiern.

    Beziehungen - Geh alle diejenigen Personen durch, mit denen Du zu tun hattest: Tanten, Onkel, Großeltern, Cousinen, Brüder, Schwestern, Kinder, Eltern, Lehrer, Vorgesetzte, Pfarrer, Altersgenossen usw. Was für Erlebnisse hattest Du mit ihnen? Waren schmerzhafte darunter?

    Erfahrungen - Geh durch die wichtigsten Ereignisse in Deinem Leben. Einige von ihnen mögen, wie eine getarnte Schlange, völlig unscheinbar erscheinen und tragen doch ein tödliches Gift in sich. Hier ein paar Steine, die Du umdrehen solltest.

      • Chirurgische Eingriffe
      • Trennungserlebnisse
      • Unfälle
      • "Körbe"
      • Misserfolge
      • Schmerzliche sexuelle Erfahrungen
      • Todesfälle
      • Begräbnisse
      • Gefährliche Stromunfälle
      • Überfälle, Prügel

    Und nicht zu vergessen die vielen keinen Vorfälle, wo man Dich wie einen Idioten hat dastehen lassen oder Dich hat minderwertig fühlen lassen.


    Emotional - Denke an eine dominante Emotion und überlass Dich ihr. Fühle das Ergriffensein von ihr und assoziiere dazu ein Gesicht. Wen siehst Du? Gefühle wie Liebe, Hass, Angst, Wut, Einsamkeit, drohendes Unheil, Zurückweisung, Kummer, Besorgtheit, Schuld, Verlegenheit [Scham] sind alles reiche Quellen für Primals.


6. Ein Wort zum Schluss

Trage selbst die Verantwortung dafür, in ein Primal zu kommen. Nur Du selbst kannst in das Innere Deines Kopfes gelangen. Sobald Du Deinen Kopf auf die Matte legst, nimm die innere Haltung an, Dein eigener Therapeut zu sein. Und Dein Therapeut wird zum Co- Therapeut. Sowie Du beginnst, Dich reinzuatmen, gib Dir die Erlaubnis, Dich selber zu erkunden. Warte nicht bis der Therapeut kommt, um Dir ins Primeln zu helfen. Gib Dir etwas Zeit. Falls Du nach 15 bis 20 Minuten an gar nichts ran kommst, sag' es Deinem Therapeuten - aber bis dahin werden vermutlich längst die Gefühle aus Deiner Quelle der Schmerzen fließen.

Wenn Du eine Primär- Szene durch hast, geh zur nächsten über oder lass Dich treiben bis Du eine Stelle zum Festmachen findest. Vielleicht greifst Du auch auf eine Fantasie zurück. Viele gute Primals haben mit einer Fantasieszene begonnen und in einem Labyrinth von Schmerz geendet.
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Übersetsung Reinhold W. Rausch


EMaK www.emak.org ist eine Webseite für Erwachsene Misshandelt als Kinder. Über die Erfahrungen einer misshandelten Kindheit zu sprechen ist oftmals der erste Schritt auf einem langen Weg die unsichtbaren Wunden zu heilen.

-- Sieglinde W. Alexander



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