Persönlich Eindrücke von Paul Vereshacks Primal- Workshop in Glencree, Irland, April 2005

von Reinhold W. Rausch
Der acht Tage dauernde Workshop fand Ende April im Glencree- Seminarzentrum in der Nähe von Dublin, statt, ein ehemaliges, inzwischen renoviertes, Internat mit Unterkunft, Verpflegung und Gruppenraum vor Ort, acht Kilometer entfernt vom nächsten Dorf.

Über seine Webseite war ich vor zwei Jahren auf Dr. Paul Vereshack (www.paulvereshack.com) gestoßen, und hatte sein dort herunterladbares Buch „Hilfe, ich bin’s leid, mich schlecht zu fühlen“ gelesen. In seinem dort angekündigten Seminar in Irland, hatte ich verstanden, ginge es um ein Training jener Methoden, das Unbewusste hervortreten zu lassen, die in seinem Buch so anschaulich und genau beschrieben sind.

All zu viel persönliche Tiefe hatte ich von seinem Seminar eigentlich gar nicht erwartet, aber auf die Gelegenheit, Paul persönlich kennen zu lernen war ich gespannt.

Bevor ich auf sein Buch stieß, hatte ich nacheinander mit zwei Primärtherapeuten in Deutschland gearbeitet. Ich war aber dann mit meinen Versuchen, an wirklich frühes biographisches Material mit dem Gefühl heranzukommen, stecken geblieben. Zwar hatte ich viel und erfolgreich mit Wut und mit Papa- Themen gearbeitet gehabt, was aber mit Mama und mit sehr frühem Schmerz in Verbindung stand, war dabei noch ziemlich unzugänglich geblieben. Ich war ziemlich verzweifelt darüber, wie „zu“ ich war und ich war drauf und dran, mich aufzugeben und mich damit abzufinden, auf meinen schmerzlichen Gefühlen von nicht zu genügen und nicht dazu zu gehören und eben doch ein hoffnungsloser Fall zu sein auf ewig sitzen zu bleiben.

Nachdem ich aber Pauls wunderbares Buch gelesen hatte gewann ich mein im Schwinden begriffenes Vertrauen in die Primärtherapie zurück und war bereit, der Sache – beziehungsweise mir selber – noch einmal eine Chance zu geben.

Der übersetzte Titel des Seminars war etwa: „Die Kunst, einen tiefentherapeutisch wirksamen Raum zu schaffen, in dem alle Regungen sein dürfen“. Dabei sollte jeder Teilnehmer bereit sein, die eigene Prozessarbeit als praktisches Beispiel für die Gruppe einzubringen, zur Demonstration von Pauls Art zu arbeiten.

Einen Raum schaffen, in dem alle Regungen sein dürfen, wie Paul es angekündigt hatte – was ist dabei eine Kunst, dachte ich erst, wenn doch klar ist, dass das ein Primal- Seminar ist und da Schläger, Kissen und Decken sind und dunkel ist man laut sein darf und ein Therapeut dabei ist. Aber dieses Wissen schafft eben doch nicht von allein die Sicherheit, die es braucht, um tiefe Gefühle hochkommen zu lassen, wenn nicht-sicher-sein das Grundgefühl ist, das der Teilnehmer, ich also, mitbringt.

Dazu braucht es, wie sich dann zeigte, einen Therapeuten / Leiter, der einerseits die Prozesse sich frei selbst entfalten lässt und ihrer Eigendynamik vertraut, um eben diesen Raum der Erlaubnis zu schaffen; der aber auch andererseits alles überblickt und fest im Blick hat, um allen Beteiligten Sicherheit zu geben. Beides unter einen Hut zu bekommenen ist schon eine Kunst für sich.

Überflüssig zu sagen, dass ich mich zu Beginn des Seminars ziemlich mulmig dabei gefühlt habe, vor so vielen unbekannten Menschen zu „arbeiten“. Andererseits ist natürlich ein derart getriggertes Gefühl in einem Primal- Setting wiederum der genau richtige Einstieg in darunter liegende, frühe Gefühle von Beschämung, Unsicherheit, Ausgesetzt- Sein. Würde ich’s richtig machen, würde ich’s schaffen, zu hier zu primeln, bin ich hier sicher, akzeptieren die Leute hier, was da von mir hochkommen kann? Und darf ich mir so viel Raum und Zeit nehmen, wie ich eben brauche? Nun, derart waren also meine Gefühle und jedes einzelne davon könnte ausreichen, um damit direkt an das sehr viel frühere Material anzuknüpfen, das dahinter steckt.

Und genau dabei half mir Pauls bedingungsloses Akzeptieren und seine wirklich nur Kunst zu nennende Fähigkeit, jeden Teilnehmer genau so zu unterstützen, wie es für diesen unterstützend wirkt. Das konnte sein, bestimmte Fragen zu stellen, die nach der emotionalen Ladung suchen, nach der Stelle, wo die Energie drinsitzt, das konnte sein, Worte, die der Klient selbst gesagt hatte, vielleicht ohne selbst darauf zu achten, wiederzuspiegeln, oder das konnte auch heißen, den Gehalt von Aussagen auf eine einfache bündige Formel zu bringen, die das Gefühl dahinter genau fassbar und fokussierbar macht. Manchmal ging Paul auch so weit, es mit einer Provokation zu versuchen, um den Klienten auf den Weg in sein Gefühl zu bringen. Aber ebenso oft war es auch einfach das gar nichts zu sagen, und das Feld ganz dem Klienten zu überlassen, was die Abwehr zum Erliegen und die Gefühle ins Fließen brachte.

Die therapeutische Kunst, dort wo sie wirklich trifft, ist immer zu hohen Graden von Intuition getragen und das ist bei Paul nicht anders. Aber zwei Dinge sind mir doch besonders aufgefallen. Einmal, wie Paul es immer wieder schaffte, sich gleichzeitig auf das, was auf der Matte in der Mitte der Runde vor sich ging zu konzentrieren und ebenso aber die Gruppe im Augen zu behalten um dann aufzugreifen, was die Arbeit des Klienten bei den Beobachtern ausgelöst hatte. Dadurch ergab sich ein starker Gruppenprozess, weil jeder und jede mit einbezogen waren in das, was da vor ihnen auf der Matte geschah. Und ein weiteres war Pauls Art, einerseits bei denen mit weniger Primal- Erfahrung selbst kleinst Fortschritte zurückzuspiegeln, bewusst zu machen und wertzuschätzen und bei den erfahreneren Teilnehmern den Prozess selbst sprechen zu lassen und sich jeder Interpretation zu enthalten.

Ich traf in Glencree auf dem Seminar das erste Mal zwei Leute persönlich, mit denen ich zuvor schon korrespondiert bzw. telefoniert hatte. Dabei hatten sich Zerwürfnisse ergeben und wir waren in Streit geraten und hatten dann die letzte Zeit auch nicht mehr miteinander gesprochen, weil jeder seine Wut auf das Gegenüber projiziert und ausagiert hatte, zumindest von mir muss ich das im Nachhinein klar so sagen. Ein wenig hatte auch das zu den gemischten Gefühlen beigetragen, mit denen ich nach Irland gekommen war.

Mit Pauls Unterstützung, er wusste von dieser Situation und griff sie auf, konnte ich nun diese Projektionen durcharbeiten und kam dabei an mein ureigensten und schmerzlich gefühlten und wiedererlebten Erinnerungen früher Traumata. Nachdem ich zuerst meine vermeintlichen Gefühle diesen beiden Menschen gegenüber nochmals aufsteigen und rauskommen lies, ich also damit eingestiegen war, ihnen „alle Schand“ zu sagen, kam ich über die Brücke dieses Gefühls aus dem Hier und Jetzt ins Dort und Damals, an schmerzliche Szenen meiner Kindheit. Nachdem ich diese dann weiter zugelassen, ausgedrückt und wiedererlebt hatte, sah ich danach dann die beiden Menschen, die diese Gefühle ursprünglich getriggert hatten, jetzt mit völlig neuen Augen und war in der Lage, zu sehen, wie schön und liebevoll sie eigentlich sind. Und prompt wurden wir gute Freunde, nachdem dieser aus meiner Vergangenheit stammende und zwischen sie und mir gekommene alte Mist ausgeräumt war.

Nicht lange, und wir alle waren so sehr in der Gruppe angekommen und untereinander warm geworden, dass es für eigentlich kaum noch jemand ein Problem war, im Angesicht der Anderen in den eigenen Schmerz zu gehen. In der Tat empfinde ich kaum etwas als wirkungsvoller und heilender als mit seinem ganzen Schmerz, der Angst, der Scham, der Wut, der Hilflosigkeit und mit all den Tränen vor Anderen als stummen Zeugen, raus zu kommen, sich zu zeigen, wie man wirklich ist. Vor Anderen, die das mitfühlen, zulassen und aushalten können, die das nicht wegmachen wollen sondern die sich mit einem selber mit freuen, wenn sich zeigt, was so lange und so lähmend und doch erfolglos versteckt gehalten war vor einem selbst und vor der Welt.

Auch auf die Gruppe hat das einen ungeheuer öffnenden Effekt und nicht lange, waren wir so weit, auch gleichzeitig Schmerz und Verwundung vor anderen zu zeigen und sich dabei dann auch gegenseitig zu sitzen und zu unterstützen. Zeitweise waren, jeweils angeregt durch die emotionale Arbeit anderer, vier oder fünf Leute gleichzeitig am primeln und hatten andere neben sich als Sitter, als persönlichen Zeugen und auch , um Taschentücher zu reichen und darauf achtend, dass sich niemand verletzt. Auch das, auf diese Weise für andere wichtig und hilfreich zu sein, war mir eine zutiefst als heilend empfundene Erfahrung. Und zugleich entstand so ganz zwanglos der weite offene Raum, in dem alle Regungen sein dürfen und alle die sich darin befanden, hatten es gelernt, ihn Wirklichkeit werden zu lassen.

Eines der Ergebnisse, die nach dem Seminar bleiben, ist, dass ich gleich berechtigt bin wie alle, dass ich mich, auch mit meinen emotionalen Verletzungen und Einschränkungen, nicht verstecken muss. Mein Prozess, so wie er war, wurde exakt ebenso wertgeschätzt und gewürdigt wie der jedes Teilnehmers und jeder Teilnehmerin – von den Anderen wie auch von einem Leiter mit einem weit offenen Herzen für jeden Einzelnen in der Gruppe. Und das ist nun etwas ganz anderes als mit einer Passt-Für-Alle- Methode behandelt zu werden, die doch den ganz verschiedenen Persönlichkeiten nicht gerecht wird und sie so eventuell in der Tinte sitzen lässt.

Diese therapeutisch Weite und Empathie, jenseits aller fachlichen Professionalität, kann niemand haben, der sich hinter seiner Methode, seiner Therapeutenrolle oder seiner narzisstischen Agenda versteckt hält. Kein Therapeut kann das leisten ohne Feedback seiner Klienten zu hören und dementsprechend waren täglich Reflektionsrunden vorgesehen. Wobei allerdings von Paul ziemlich konsequent darauf geachtet wurde, dass diese Runden den Fokus auf Gefühle nicht verloren und etwa in Debattieren ausgeufert wären.

Die Primal- Arbeit solcherart in der Gruppe mit zu machen, machte mir klar, dass es so viele verschiedenen Arten zu primeln gibt, als wie es Menschen gibt, die es tun. Erlaubnis heißt in diesem Zusammenhang auch Freiheit vor dem Zwang Regressionen / Primals „produzieren“ zu müssen. Es gab in der ganzen Woche nie irgend einen Zwang, „richtige“ Primals haben zu sollen, was mir persönlich entscheidend half, mir selber zu erlauben, bei genau dem zu sein und zu bleiben, was tatsächlich jeweils dran und da war, bei mir. Erst nachdem ich das erfahren und es bis in die Knochen gesunken war, konnte ich meiner Wut ganz auf den Grund gehen und fand ich und erfühlte ich die eigentliche Kraftquelle, die da in Wahrheit in mir ist. Dieses starke Bild, nicht eigentlich wütend, sondern wesentlich voller Kraft und Energie zu sein, ist auch das tiefste Bild was nach dem Seminar in mir bleibt.

Pauls Begabung, scheinbare Nebensächlichkeiten, die gewöhnlicher Aufmerksamkeit entgehen oder bestimmte Worte in dahin gesagten Sätzen, die aber doch so viel von einer Person enthalten können, zu bemerken und aufzugreifen, ist Legende. Was mir aber mindestens ebenso half, an meine Gefühle zu kommen, war Zeuge der Arbeit Anderer zu sein. So war unter den Teilnehmern eine Frau, die in einem ihrer Primals so halberstickte Laute von sich gab. Diese Laute, wie ich mit einer Gänsehaut spüren konnte, waren genau jene gleichen Laute, die meine Mutter vor vierzig Jahren von sich gegeben hatte, sobald sie wieder eine jener neurotischen Herzanfälle hatte, mit der sie reagierte, wenn sie sich über mich als Kind oder sonst über etwas hatte aufregen „müssen“. Mit einem Schlag war ich mitten im Wiedererleben des eigenen Schocks und Schreckens, den ich damals als Kind erfahren hatte und aber seit damals tief in mir versteckt gehalten hatte. Im Gegensatz zu damals konnte ich aber jetzt meinem Erschrecken und meiner Angst Ausdruck verleihen und was für ein Unterschied machte das! Wie viel besser und lebendiger fühlte ich mich, nachdem ich das durchgestanden und durchgefühlt hatte.

Ich machte die unvergessliche Erfahrung, dass ich in der Tat andauernd „in einem Gefühl“ bin und nur aus diesem Gefühl heraus die Welt wahrnehme. Und dass dieses Gefühl immer auch durchtränkt ist von meiner Vergangenheit und emotionalen Prägung und nie die Wirklichkeit als solche, objektiv, auch wenn es mir noch so sehr so vorkommt, abbildet. So war ich beispielsweise Zeuge des Primals einer anderen Teilnehmerin: Dieses Primal schien mir ganz eine bühnenreife Darstellung zu sein, viel mehr als irgend etwas sonst. Der wirkliche und gefühlte Schmerz dahinter entging mir vollständig. Alle in der Gruppe konnten diesen Schmerz sehen nur ich als einziger konnte nichts anderes wahrnehmen als eine dramatisch- expressive Performance für Theatergäste.

Erst nachdem ich das aufgegriffen hatte und dem Gefühl dahinter nachgegangen war und es geprimelt / wiedererlebt hatte, wie mein Vater damals Mutter und ihre Herzanfälle immer wieder belächelt, ja sogar verspottet hatte und wie ich mich dabei und dazwischen gefühlt hatte - erst danach konnte ich mit meiner Wahrnehmung dem gezeigten Schmerz der anderen Teilnehmerin gerecht werden.

Immer hatte ich eine Tendenz, Menschen zu meiden und um so mehr bin ich jetzt noch immer berührt von dem Ausmaß an erlebter, gefühlter Seelenverbindung, die diese Gruppe mich erfahren ließ. Dieses Verbundenheitsgefühl mit anderen auf einer weit vorsprachlichen Ebene ist, glaube ich, allein für sich selbst ein zutiefst heilendes Erleben.

Indem mir von den anderen Teilnehmern Ermutigung und Rückmeldung über meinen Prozess zukam und sie einfach dessen Zeuge waren, kam ich endlich einmal auch in Verbindung mit dieser so sehr ersehnten inneren Bestätigung und Berechtigung zu sein und willkommen zu sein. Ja, ich bin doch gut genug, ja, so wie ich’s mache, ist es richtig und ja, ich gehöre dazu und bin akzeptiert von denen, die um mich sind!

Ich kann es von ganzem Herzen nur jedem, der auf der Suche nach Heilung des Schmerzes in ihm ist, empfehlen, sich das Geschenk der Teilnahme an diesem Seminar zu machen.
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